Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX

[themecolor]Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Dezember 2009, Geschäftszeichen 2 AZR 400/08[/themecolor]


§ 138 Abs. 2 BGB

Leitsatz der Bearbeiterin:

Ergibt sich im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) eine geeignete Maßnahme, aber weigert sich der Arbeitnehmer, daran teilzunehmen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihm eine Frist zu setzen und die krankheitsbedingte Kündigung anzudrohen, bevor er sie aussprechen darf.

Problempunkt:

Die Klägerin ist im Krankenhaus der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Im Jahr 2003 war sie aufgrund einer Schulter-Arm-Erkrankung und eines physischen Erschöpfungssyndroms lange arbeitunfähig. In den Jahren 2004 und 2005 wurden Rückkehrgespräche geführt. Die Betriebsärztin empfahl, die Arbeitszeit der Mitarbeiterin zu reduzieren oder sie in eine andere Abteilung zu versetzen. Die Versetzung erfolgte im November 2004. Im Jahr 2006 empfahl der betriebsärztliche Dienst eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Diese lehnte die Klägerin wegen der Betreuung ihrer Kinder ab. Schließlich kündigte die Beklagte ihr krankheitsbedingt. Die Mitarbeiterin erhob Kündigungsschutzklage. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab.

Entscheidung:

Auf die Revision der Klägerin hob das BAG die Entscheidung auf und verwies die Sache zurück. Das LAG hatte bei seinem Urteil zwar die Grundsätze des BAG zur Kündigung wegen häufiger Erkrankungen angewandt. Die obersten deutschen Arbeitsrichter bemängelten im konkreten Fall aber, dass aus den Feststellungen nicht hervorging, ob die Kündigung unter Berücksichtigung des durchzuführenden BEM verhältnismäßig war.
Das gesamte Kündigungsrecht ist vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht – dies gilt im Besonderen für die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen: Sie ist nur erforderlich, wenn der Arbeitgeber alle ihm zur Verfügung stehenden milderen Mittel ausgeschöpft hat. Hierzu gehört auch, dass alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen („leidensgerechte Beschäftigung“), die einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft möglich erscheinen lassen.

Das BAG machte noch einmal deutlich, dass die Durchführung des BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX vor einer krankheitsbedingten Kündigung zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung ist, es aber u. a. Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hat. Der Arbeitgeber darf zunächst pauschal behaupten, es gebe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Legt der Arbeitnehmer dann jedoch konkret dar, wie er sich seine weitere Tätigkeit unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorstellt, hat das Unternehmen dies zu prüfen und – soweit es in seiner Macht steht – vor Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung als milderes Mittel umzusetzen. Führt der Arbeitgeber allerdings ein BEM durch, kann er sich darauf im Prozess beziehen und muss nicht mehr alle denkbaren und vom Arbeitnehmer konkret benannten Alternativen im Einzelnen würdigen, sei es die Abänderung des bisherigen oder die Beschäftigung auf einem gänzlich anderen Arbeitsplatz im Unternehmen.

Im vorliegenden Fall hatte die Betriebsärztin im Rahmen des BEM eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen. Diese lehnte die Arbeitnehmerin „spontan“ mündlich ab. Trotzdem war der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG verpflichtet, die empfohlene Maßnahme in die Wege zu leiten. Er hätte der Klägerin eine Frist setzen und für den Fall der Weigerung die Kündigung androhen müssen. Erst dann hätte er ihr krankheitsbedingt kündigen dürfen.

Konsequenzen:

Die Entscheidung des BAG ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer von großer Bedeutung: Das BAG hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Durchführung des BEM zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist. Unterbleibt es aber, muss der Arbeitgeber von sich aus prüfen, ob er den Betroffenen alternativ unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands im Unternehmen beschäftigten kann.

Führt das Unternehmen ein BEM durch und wird eine konkrete Maßnahme empfohlen, weigert sich der Arbeitnehmer aber daran teilzunehmen, muss der Arbeitgeber ihm eine Frist setzen und die krankheitsbedingte Kündigung androhen. Erst danach darf er sie aussprechen. Der Mitarbeiter wiederum hat bereits im Rahmen des BEM substantiiert darzulegen, wie er sich eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt. Nach dessen Abschluss kann er allenfalls noch auf Möglichkeiten verweisen, die sich bis zum Zeitpunkt der Kündigung ergeben


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haben.

Praxistipp:

Dem Arbeitgeber ist in jedem Fall zu empfehlen, mit Mitarbeitern, die lange krankheitsbedingt fehlen, ein BEM durchzuführen. Wird in diesem Rahmen eine konkrete Rehabilitationsmaßnahme empfohlen, hat das Unternehmen den Arbeitnehmer unter Fristsetzung und Kündigungsandrohung aufzufordern, teilzunehmen. Erst wenn der Betreffende weiterhin sein Einverständnis verweigert, kann das Unternehmen eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen, die auch verhältnismäßig ist. Hat das BEM dagegen zu der Erkenntnis geführt, dass keine Möglichkeiten existieren, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, darf der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren hierauf verweisen.

Katrin Borck
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Dieser Kommentar wurde veröffentlicht in der Zeitschrift „Arbeit und Arbeitsrecht“, HUSS-MEDIEN GmbH, Heft 07/10