Kündigungsschutz nach Betriebsübergang

[themecolor]Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Februar 2007, Geschäftszeichen 8 AZR 397/06[/themecolor]


Leitsätze der Bearbeiterin:

  1. Das Erreichen des Schwellenwerts nach § 23 KSchG aufgrund der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter beim Rechtsvorgänger ist kein übergangsfähiges Recht i.S.d. § 613a BGB.
  2. Ein gekündigter Arbeitnehmer kann sich nach dem Betriebsübergang daher nicht auf die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes berufen, wenn beim Übernehmer der Schwellenwert nach § 23 KSchG nicht erreicht ist.

Problempunkt:

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zugunsten einer Arbeitnehmerin auch dann angewendet werden muss, wenn diese zum Zeitpunkt der Kündigung nach einem Betriebsübergang bei einem Arbeitgeber tätig war, der den Schwellenwert des § 23 KSchG nicht erreicht, das KSchG vor dem Betriebsübergang aber aufgrund der Betriebsgröße Anwendung gefunden hätte.

Entscheidung:

Die Klage der Arbeitnehmerin war in allen Instanzen erfolglos. Nach Ansicht des BAG ist das Erreichen des Schwellenwerts aufgrund der Betriebsgröße gemäß § 23 KSchG kein übergangsfähiges Recht i.S.d. § 613a BGB.

Bislang war nicht höchstrichterlich definiert, was unter „Rechte und Pflichten“ i.S.d. § 613a BGB zu verstehen ist. Lediglich das Hessische Landesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 (Urt. v. 28.1.1983 – 13 Sa 827/82) festgestellt, ein Betriebsteilübergang führe nicht zur Perpetuierung des gegenüber dem Betriebsveräußerer erworbenen Kündigungsschutzes. Dem schlossen sich die Bundesrichter an und erläuterten: Letztlich stellt das Erreichen des Schwellenwerts nach § 23 KSchG kein Recht dar, sondern allenfalls eine Tatbestandsvoraussetzung für ein Recht. Die Betriebsgröße gehört auch nicht zum erworbenen Besitzstand des Arbeitnehmers, denn sie kann sich aufgrund tatsächlicher Grundlagen jederzeit verändern – der Arbeitnehmer ist auch beim Betriebsveräußerer vor einem Wegfall des Kündigungsschutzes durch eine Verkleinerung der Belegschaft nicht geschützt. Andernfalls käme es zu einer Aufwertung und Erstarkung der Rechtsposition, die ohne den Betriebsübergang nicht stattgefunden hätte. Eine solche Privilegierung der Arbeitsverhältnisse aufgrund eines Betriebsübergangs ist aber nicht gewollt.

Der Schutz ergibt sich auch nicht aus der hier einschlägigen Richtlinie 77/187/EWG. Der EuGH ist vielmehr immer davon ausgegangen, dass sich die Ermittlung des Inhalts eines Rechts beim Betriebsübergang allein nach den im Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer geltenden Modalitäten richtet. Dem Arbeitnehmer soll bei einem Inhaberwechsel grundsätzlich die weitere Wahrung seiner Rechte gewährleistet werden.

Auch die Vorschrift des § 323 Umwandlungsgesetz (UmwG) führt nach Ansicht des BAG nicht dazu, dass das Kündigungsschutzgesetz im konkreten Fall auf die Arbeitnehmerin Anwendung findet. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet aus, weil weder eine Spaltung noch eine Teilübertragung vorlagen. Eine analoge Anwendung lehnten die Richter ebenfalls ab: Gemäß § 323 UmwG darf sich die kündigungsrechtliche Stellung eines Arbeitnehmers für die Dauer von zwei Jahren nach einer Spaltung oder Teilübertragung des Rechtsträgers nicht verschlechtern. Daher bleibt der gesetzliche Kündigungsschutz auch bei Absinken unter den maßgeblichen Stellenwert für diesen Zeitraum zugunsten der Mitarbeiter erhalten. Der Gesetzgeber wollte mit § 323 UmwG allerdings ausschließlich eine besondere arbeitsrechtliche Schutzvorschrift für den Bereich des Umwandlungsrechts schaffen. Wie sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs ergibt, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass in den §§ 321 ff. UmwG für die Spaltung und Teilübertragung über den § 613a BGB hinausgehende Sondervorschriften geschaffen werden sollten. Ihm war dabei bewusst, dass das Schutzniveau der Vorschrift über das des § 613a BGB hinausgeht. In einem solchen Fall kann nicht vom Vorliegen einer Regelungslücke ausgegangen werden.

Der begehrte Kündigungsschutz folgt auch nicht aus einer individualrechtlichen Vereinbarung der Parteien. Mit dem Betriebsvorgänger hatte die Klägerin zwar die schriftliche Vereinbarung geschlossen, dass die Bedingungen des gültigen Arbeitsvertrags weiter gelten sollten. Die beklagte Übernehmerin hatte auf diesem Schriftstück jedoch lediglich ihre Kenntnisnahme verzeichnet. Eine vertragliche Vereinbarung war mit ihr nicht geschlossen worden. Eine Vereinbarung zulasten Dritter ist jedoch unzulässig.

Konsequenzen:

Die Frage, ob im Ursprungsbetrieb aufgrund der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter das KSchG galt, kann aus Sicht des Übernehmers bei einem Betriebsübergang vernachlässigt werden. Beschäftigt er nur eine unter dem Schwellenwert liegende Arbeitnehmeranzahl, so gilt das KSchG fortan auch nicht mehr zugunsten der übernommenen Mitarbeiter. Allerdings muss der Übernehmer vermeiden, dass mit den Arbeitnehmern individualvertragliche Vereinbarungen übernommen oder neu geschlossen werden, die auf die Anwendbarkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes unabhängig von der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter zielen.

Praxistipp:

Übernehmer von Betrieben können sich nach dieser Entscheidung weiter darauf verlassen, dass die rechtlichen Segnungen des KSchG zugunsten der übernommenen Arbeitnehmer keine Anwendung finden, wenn der Schwellenwert des § 23 KSchG beim Übernehmer nicht erreicht wird. Dies gilt unabhängig davon, ob er im Ursprungsbetrieb (möglicherweise jahrelang) erreicht wurde oder nicht. Für die übernommenen Mitarbeiter bedeutet dies aber keine Verschlechterung ihrer kündigungsrechtlichen Stellung: Auch im Ursprungsbetrieb kann die Anwendbarkeit des KSchG entfallen, wenn der Schwellenwert unterschritten wird.

Katrin Borck
Fachanwältin für Arbeitsrecht


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normal;“>Dieser Kommentar wurde veröffentlicht in der Zeitschrift „Arbeit und Arbeitsrecht“, HUSS-MEDIEN GmbH, Heft 08/07